Genossenschaft und Gemeinwohl
Leider wird zum Thema Genossenschaften viel Halbwissen verbreitet. Gerne werden Genossenschaften als am Gemeinwohl orientierte Unternehmen dargestellt. Dieses hört sich zunächst einmal gut an, nämlich wohltätig, führt aber auch zu Verwirrungen. Zugegeben: Der Begriff „gemeinwohlorientiertes Unternehmen“ klingt irgendwie besser als privatwirtschaftlich-kapitalistisches oder – schlimmer noch – profitorientiertes Unternehmen. Doch der Begriff „gemeinwohlorientierte Genossenschaft“ scheint zumindest bedenklich und mahnt zur Vorsicht.
Fakt ist: Die Gemeinwohlorientierung ist derzeit nicht mit dem geltenden Genossenschaftsgesetz vereinbar. Darin geht es allein um die Förderung der Mitglieder und nicht um die Förderung einer irgend gearteten, unbestimmten Allgemeinheit.
Was heute als „gemeinwohlorientiert“ verkauft wird, erinnert stark an CSR-Marketing: Corporate Social Responsibility, eine Außendarstellung der gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens. Der freiwilligen Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung (wir beschäftigen lokale Handwerker und fördern Vereine) und Nachhaltigkeit (wir vermeiden Abfall, indem wir langlebige, recycelbare Produkte produzieren und Kinderarbeit verurteilen) lässt sich gut verkaufen.
Was hat Gemeinwohlorientierung mit Genossenschaft zu tun? Nicht viel, wenn bedacht wird, wie eine Genossenschaft funktioniert. Die Rechtsform Genossenschaft ist mit einem wirtschaftlichen Verein vergleichbar. Die Tätigkeit der Genossenschaft ist nicht auf die Erzielung eines möglichst hohen Gewinns ausgerichtet. Im Vordergrund stehen die Förderung der Mitglieder und die langfristige Existenz der Genossenschaft.
Nach dem Genossenschaftsgesetz wird zwischen Wirtschaftsgenossenschaften und Kultur- und Sozialgenossenschaften unterschieden. Zum Unterschied: Die Wirtschaftsgenossenschaft fördert ihre Mitglieder in wirtschaftlichen Belangen. Die weniger verbreiteten Sozial- oder Kulturgenossenschaft fördern ihre Mitglieder auf andere, nicht-ökonomische Art.
Wenn in Geschäftsberichten von Genossenschaften, auf Tagungen und im Schriftgut der Genossenschaftsverbände vermehrt die am Gemeinwohl orientierte Genossenschaft präsentiert wird, stellt sich folgende Frage …
Was wird eigentlich damit bezweckt? Geht es um die Abschaffung des mitgliederbezogenen Förderauftrags, um die Vergesellschaftung des Genossenschaftsvermögens oder gar um die Abschaffung der Genossenschaft heutigen Verständnisses? Der genossenschaftliche Förderauftrag und das Gemeinschaftseigentum der Mitglieder sind die zentralen Unterscheidungsmerkmal der Rechtsform Genossenschaft. Sie unterscheiden die Genossenschaft von der Kapitalgesellschaft oder jeder Personengesellschaft.
Genossenschaften sollen mit anderen Genossenschaften kooperieren und sich gegenseitig fördern. Die CoopGo Initiative sieht hier einen Grundstein einer digital ausgerichteten Kooperationsgesellschaft. Anscheinend reicht dieser Katalog aber immer noch nicht aus.
Vom kooperativen Wirtschaften einer Genossenschaft sollen die Mitglieder Nutzen ziehen. In einer Genossenschaft sollte es Mitbestimmung der Mitglieder und Transparenz des Managements geben. In Genossenschaften soll das Gleichbehandlungsprinzip gelten und der Förderauftrag nicht auf ein Nebengleis geschoben werden. Die Mitglieder sollten an der Bestimmung der Unternehmensziele mitwirken, die vom der Vorstand verfolgt werden. Der Prüfungsverband – falls er die genossenschaftlichen Grundsätze kennt und anerkennt – prüft, ob die Förderziele erreicht wurden.
Obwohl die genossenschaftlichen Zielvorstellungen noch lange nicht erfüllt sind, werden nun mit der am Gemeinwohl orientierten Genossenschaften neue Erwartungen aufgebaut. Soll das Gemeinschaftseigentum der Genossenschaft in Gesellschaftseigentum umgewandelt werden? Wird die Kampagne von den Verbänden gesteuert, um Sozialpolitik vorzutäuschen?
Oder sind in der Genossenschaftswissenschaft ansässige Akteure am Werk, welche die Genossenschaften in eine neue, eher sozialistisch gefärbte Richtung verändern wollen. Als hätten wir das nicht schon gehabt, nämlich in der NS-Zeit in Form der Volksgenossenschaften mit striktem Gemeinnutzauftrag zugunsten der Volksgemeinschaft und in neuerer Zeit mit Überlegungen zur „Economie Sociale“. Wenn, dann sollten es diese Möchte-gern-Erneuerer nicht mit der Benutzung des Begriffs „gemeinwohlorientiert“ in Bezug auf Genossenschaften bewenden lassen, sondern ihre bislang nicht durchschaubare Absichten klar benennen. Gerade dies setzt ein sinnvoller Meinungsaustausch voraus!
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